German Edition
Süddeutsche Zeitung Politisches Buch
Dienstag, 22. April 2008
Die südafrikanische Tragödie
Erst spät hat das Land den Kampf gegen Aids aufgenommen
Die gute Nachricht ist nur ein paar Zeilen lang. Südafrika will für den Kampf gegen Aids bis 2011 für Medikamente und Aufklärung 2,4 Milliarden Euro ausgeben. Das finanzielle Engagement signalisiert einen neuen Umgang mit den mehr als fünf Millionen HIV-Infizierten des Landes, das eine der höchsten Aidsraten weltweit aufweist. Ein Ende der südafrikanischen Aids-Tragödie ist möglich geworden. Deren Geschichte erzählt Edwin Cameron, ein hochrangiger südafrikanischer Richter und selber HIV-positiv, in seinem Buch.
Aids ist dank antiretroviraler Medikamentencocktails längst keine tödliche Krankheit mehr. Aids-Kranke außerhalb von Europa und Nordamerika konnten sich die teueren Medikamente allerdings lange Zeit nur leisten, wenn sie zur Oberschicht ihres Landes gehörten. Als Arzneimittelhersteller aus Schwellenländern günstige Nachahmerpräparate auf den Markt brachten, versuchten Pharmakonzerne im Verein mit westlichen Regierungen die Generika unter Verweis auf den Patentschutz zu stoppen, zum Nachteil der Kranken in den ärmeren Ländern. Aids-Kranke in Südafrika waren obendrein einer absurden Aids-Politik ihrer eigenen Regierung ausgesetzt, die von Pharmakonzernen angebotene Medikamentenschenkungen ablehnte und auf Vitamine zur Seuchenabwehr setzte. In der Republik am Kap mussten Menschen noch sterben, als in weitaus ärmeren Ländern Kranke bereits behandelt wurden.
Cameron dröselt das komplizierte Geflecht aus Traumatisierung durch weiße Unterdrückung und Verschwörungstheorien auf, das südafrikanische Politiker zu Totengräbern ihrer aidskranken Landsleute werden ließ. Ein in ANC-Kreisen verbreitetes Dokument sah einen „allmächtigen Apparat” weißer Westler am Werk, die sich am Verkauf von Aids-Medikamenten bereichern sowie Schwarze demütigen und töten wollten. Die schnelle Ausbreitung der sexuell übertragbaren Seuche in Teilen Afrikas lieferte manchen Weißen tatsächlich Anlass für rassistische Phantasien. Bei deren Abwehr wiesen schwarze Politiker auch fundierte Erkenntnisse der Aidsforschung zurück, denn „sie glauben darin die Fortschreibung einer Jahrhunderte dauernden Tradition des lüsternen Blicks der Weißen auf die Schwarzen zu erkennen.” Selbst Präsident Thabo Mbeki, der sich als Vordenker einer afrikanischen Renaissance Anerkennung erwarb, folgte den unhaltbaren Aids-Spekulationen.
Cameron gelingt eine differenzierte Darstellung des Gemenges aus uralten Vorurteilen, politischen Strategien und wirtschaftlichen Interessen. Er benennt Gewalt und die Machtlosigkeit von Frauen in sexuellen Beziehungen als Gründe für die Ausbreitung der Seuche, aber er will auch die Existenzbedingungen für den Krankheitserreger und mögliche genetische Anfälligkeiten in die Ursachenforschung einbeziehen. Cameron erzählt von der Begegnung mit einem Mediävisten, der ihm von der Beulenpest im Mittelalter berichtete, die aus bisher ungeklärten Gründen einige Landstriche Europas im heutigen Polen und in den Niederlanden verschonte. Die Ursache läge sicher nicht in weniger „sündhaftem Verhalten oder in der Sexualität” der dortigen Bewohner, bemerkt Cameron. Seine Erfahrungen als HIV-Positiver verleihen dem Buch eine berührende Authentizität. Edwin Cameron wurde 1953 in eine arme, zerrüttete Familie hineingeboren, aber seiner weißen Hautfarbe verdankte er Stipendien für gute Schulen, und mit großem Bildungseifer qualifizierte er sich für eine glänzende juristische Karriere.
1986 wird Cameron HIV-positiv getestet, elf Jahre später bricht die Krankheit aus. Auch nach dem Ende der Apartheid verhindert ein weit verbreiteter frömmelnder Moralismus Offenheit im Umgang mit der Seuche. Cameron versucht, seine Erkrankung zu verheimlichen. Die Krankenversicherung für Richter bezahlt ihm die lebensrettenden Medikamente, obwohl die Regierung die Arzneien als gefährlich brandmarkt. Zugleich muss Cameron mit ansehen, wie zahlreiche Landsleute der Seuche erliegen, darunter nicht wenige, weil sie sich schämen, ihre Krankheit beim Namen zu nennen und Hilfe anzunehmen.
Edwin Cameron outet sich 2000 bei seiner Rede auf der Internationalen Aids-Konferenz in Durban als Homosexueller und HIV-Positiver und verbindet sein Bekenntnis mit einem eindringlichen Appell: „Ich halte es für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ich allein aufgrund meines relativen Wohlstandes leben darf, während andere sterben müssen.” GABY MAYR
EDWIN CAMERON: Tod in Afrika – Mein Leben gegen Aids. Mit einem Vorwort von Nelson Mandela und Beiträgen von Nathan Geffen. Aus dem Englischen von Rita Seuß und Thomas Wollermann. C.H. Beck Verlag, München 2007. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Toptitel
NEU!
Cameron, Edwin
Tod in Afrika
Mein Leben gegen Aids
Mit einem Vorwort von Nelson Mandela.
Aus dem Englischen von Rita Seuß und Thomas Wollermann.
2007. 256 Seiten. Gebunden.
EUR 19.90
ISBN 978-3-406-54982-3
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„Einer der neuen Heroen Südafrikas“
Nelson Mandela
„Wenn Wahrheit Schönheit ist, dann ist dieses brillante und unnachgiebig hoffnungsvolle Buch schön. Es ist ein Text, nach dem wir leben können, wenn wir nach der Möglichkeit eines besseren Lebens für alle streben … in einer Welt, die weithin von Aids bedroht ist.“
Nadine Gordimer
Edwin Cameron erzählt in diesem eindrucksvollen, schonungslos ehrlichen Buch von seinem Leben mit der HIV-Infektion in Johannesburg, dem weltweiten „Epizentrum von Aids“. Aber das Buch ist mehr als der Bericht eines Betroffenen: Cameron macht deutlich, warum Aids gerade Afrika so erbarmungslos heimsucht, welche Rolle Politiker und Pharma-Konzerne spielen und welche Wege aus der Krise führen.
Nelson Mandela hat den Kampf gegen Aids als die nächste große Herausforderung Südafrikas nach dem Ende der Apartheid bezeichnet. Daß dies nicht übertrieben ist, zeigt Edwin Camerons Buch, das in Südafrika sofort zum Bestseller wurde. Cameron berichtet von seiner beginnenden Erkrankung und den panischen Versuchen, diese im Beruf und im Privatleben zu verbergen. Er erzählt, wie er als erster hoher Amtsinhaber in Südafrika seine Krankheit publik gemacht hat, mit rettenden Medikamenten versorgt werden konnte und zum führenden Aids-Aktivisten wurde. Das Buch ist bestechend, weil Cameron immer wieder über sein eigenes Schicksal hinaus den „schwarzen Kontinent“ insgesamt in den Blick nimmt. Er erläutert, warum Infizierte hier so unvorstellbar rücksichtslos stigmatisiert werden, warum selbst höchste Politiker die Krankheit eher für eine Strafe halten und wie die Pharma-Industrie hiervon profitiert. Sein Bericht ist das beeindruckende Zeugnis eines Richters, der seinen persönlichen Kampf gegen Aids zu einem Kampf um das Überleben Afrikas gemacht hat.
Ausgezeichnet mit dem Alan Paton Nonfiction Award 2006, dem wichtigsten Literaturpreis Südafrikas.
Edwin Cameron , geboren 1953 in Südafrika, begann seine Karriere als Anwalt für Menschenrechte im Kampf gegen die Apartheid. In Nelson Mandelas Südafrika stieg er schnell in hohe Richterämter auf und wirkte beim Aufbau der neuen Institutionen mit. Heute ist er Richter am obersten Berufungsgericht Südafrikas und einer der führenden Aids-Aktivisten Afrikas.
Informationen über den "Brot-für-die-Welt-Partner TAC" (Selbsthilfeorganisation „Treatment Action Campaign“).
Vorwort von Nelson Mandela
Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe
1. Eine zweite Chance
2. Nur ein Virus, nur eine Krankheit
3. Rasse, Sex und Tod in Afrika
4. Die Leugnung von Aids in Südafrika
5. Ein Richter im Zeugenstand
6. «Wir sind nicht das Rote Kreuz» – Patente, Profite und der Aids-Tod (mit Nathan Geffen)
7. Gerechtigkeit für die Armen (mit Nathan Geffen)
8. Die Kraft des Handelns
Dank
Nachweise und Literatur
Register
Pressestimmen
„Ein großer Sohn Südafrikas. (...) Was Cameron in seinem preisgekrönten Buch berichtet, ist die Erzählung des eigenen Lebens – wie ein Appell an die Eliten seines Landes, den Nomenklaturen Afrikas wie auch ein Mainfest an die Adresse der reichen Länder des Westens, die schlimmste Epidemie nicht zu verharmlosen: Aids. Er weiß, wovon er spricht, denn er zog sich selbst diese Körperimmunschwäche in den frühen Achtzigern zu. Als aus der Infektion eine Krankheit wurde, als die Viren das Abwehrsystem seines Körpers angriffen, wollte er es partout verschweigen. (…) Cameron outete sich schließlich, nachdem eine junge schwarze Frau, die sich in einer Fernsehsendung als HIV-infiziert bekannte, in ihrem Township zu Tode gesteinigt wurde – sie hatte sich schuldig gemacht, über eine Krankheit zu sprechen, die mehrer Tabus klammert, das des Todes wie des Sexuellen. ‚Ich wusste, dass ich nun keine Wahl mehr hatte. Einzustehen für das, was ist.'“
Jan Feddersen, Die Tageszeitung, 22. Juni 2007
„In seinem Vorwort zu Camerons Buch, das in seiner Heimat zu einem Bestseller wurde, bezeichnet Nelson Mandela den Autor als einen „der grossen Söhne Südafrikas“. Cameron und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass Aids in Südafrika enttabuisiert wurde.“
Silvia Höner, Tagesanzeiger, 14. Mai 2007
„Sein Überlebensbericht schildert die „zweite Chance“, die ihm die antiretrovirale Therapie bescherte, fast wie eine Wiederauferstehung – und doch ganz ohne Pathos. Denn Cameron stellt seine eigene Geschichte immer nur so wohldosiert aus, wie es der klugen Analyse der südafrikanischen Verhältnisse und dem politischen Appell an die Mitverantwortlichen dient – und scheint doch kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Mit „Witness to Aids“, einer persönlichen Zeugenaussage in Sachen Aids, hat sich Cameron, der in Südafrika als Menschenrechtler, Aids-Aktivist und politischer Intellektueller hohes Ansehen genießt, nun auch literarische Meriten erworben. Im vergangenen Jahr wurde diese Dokumentation eines Lebens mit und gegen Aids in Afrika mit dem wichtigsten Literaturpreis des Landes, dem „Alan Paton Nonfiction Award“, ausgezeichnet. (…) Die eindringlichsten Passagen (…) kreisen um das Phänomen der Stigmatisierung. Dieser komplexe sozialpsychologische Vorgang, bei dem Opfer und Täter in geheimer Absprache am gleichen Strang zu ziehen scheinen, erweist sich als Epizentrum der cameronschen Aids-Seismographie. Schlimmer als der körperliche Verfall, sagt Cameron, „verstörender und unbeherrschbarer“, sei die mit Aids verbundene Scham. Er beschreibt sie als „inneres Stigma“, das in vorauseilendem Gehorsam die gesellschaftliche Ächtung vorwegnimmt. Zwölf Jahre hat es gedauert, bis sich Cameron selbst öffentlich zu seiner Krankheit bekannte, obwohl er längst an prominenter Stelle die Interessen Aids-Kranker vertrat.“
Bettina Engels, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. März 2007
„Eigentlich sollte dieses Buch nicht mehr nötig sein. (…) Cameron schildert sein Leben mit der Krankheit, seinen Kampf für bessere Behandlungsmöglichkeiten für Arme und die starken Vorurteile, die eine effiziente Aids-Politik in Südafrika noch immer schwer machen. Er verurteilt seine Regierung für ihre Ablehnung konventioneller Behandlungsmethoden und die Pharmaindustrie, weil sie die Medikamente zu teuer verkauft. Vor allem aber prangert er das Stigma an, mit dem die Gesellschaft Aids-Kranke belegt, obwohl die Immunschwäche seit 1981 als Krankheit anerkannt ist. Eigentlich sollte dieses Buch im Jahr 2007 nicht mehr nötig sein.“
ske, Das Parlament, 5. März 2007
„“Tod in Afrika” ist sowohl Tatsachenbericht als auch Lebenszeugnis: Der südafrikanische Richter kämpft nicht nur als Menschenrechtsexperte für einen gerechteren und humaneren Umgang mit HIV- und Aids-Kranken. Edwin Cameron hat selbst Aids, und er wird nicht müde zu betonen, dass ihm der medizinische Fortschritt ein zweites Leben geschenkt hat. (…) Camerons Buch rollt die fatale Geschichte der sozialen Stigmatisierung auf, und es liefert überzeugende Argumente in der Diskussion um Urheberrechte und geistiges Eigentum. Aber „Tod in Afrika“ lenkt die Aufmerksamkeit auch auf ein weiteres Problem – fast könnte man es die dritte Säule der afrikanischen HIV-Geschichte nennen: die Zurückweisung und Leugnung von Aids als medizinisch erwiesener Tatsache. (…) Der Richter macht dagegen klar, dass Prävention und Behandlung unauflöslich miteinander verknüpft sein müssen, die Kranken also nicht gegen die (noch) Gesunden ausgespielt werden dürfen. Gerade deshalb ist sein Buch so dringend notwendig, um nicht zu sagen potenziell lebensrettend: Es fordert ein „längeres, gesünderes und glücklicheres Leben“ für alle, ganz gleich, ob reich oder arm, infiziert oder nicht – genauso, wie es die Pharma-Websites versprechen.“
Jutta Person, Literaturen, 3/2007
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter, lieber Herr Cameron,
sehr geehrter Herr Dr. Neudeck,
sehr geehrte Frau Dr. Schoene,
sehr geehrter Herr Braun,
sehr geehrter Herr Jetz,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie ganz herzlich hier im Großen Saal im Gemeindeamt der Antoniterkirche.
Mein ganz besonderer Gruß geht an die Hauptperson des heutigen Abends: Herzlich willkommen in Köln, Edwin Cameron!
Wie ich mir habe sagen lassen, werden Sie anlässlich des CSD in Berlin in den nächsten Tagen den diesjährigen Preis für Zivilcourage verliehen bekommen. Dazu gratuliere ich vorab ganz herzlich.
Gerne bin ich der Einladung zu dieser Veranstaltung gefolgt - nicht zuletzt auch deshalb, weil ich seit 1988 Mitglied im Vorstand der AIDS-Hilfe Köln bin.
1981 wurde Aids zum ersten Mal offiziell diagnostiziert. Das Virus, das wir inzwischen mit dem Begriff HIV – Humanes Immunschwächevirus – benennen, ist auslösend für eine wahre Epidemie, die immer mehr Todesopfer fordert, insbesondere in Afrika.
Die Berichte der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation dokumentieren die immer noch wachsende Zahl von Neuinfektionen.
In den letzten Jahren hat sich das Erscheinungs- und Krankheitsbild von Aids verändert. In weiten Teilen unserer Bevölkerung wird Aids immer mehr als chronische Krankheit wahrgenommen und damit in gewissem Maße verharmlost.
Das ist eine gefährliche Tendenz, denn wahr ist: Aids kann immer noch nicht geheilt werden!
AIDS ist nach wie vor eine lebensbedrohende Erkrankung.
Aber neben der Vorsorge durch Aufklärungskampagnen kann heute zumindest die Ausbreitung des Virus im Körper durch verschiedene Medikamente gestoppt werden.
Allerdings muss man dafür zu einer privilegierten Gruppe von Menschen gehören: Man muss in Nordamerika oder Europa leben und durch Abstammung, Hautfarbe oder auch Einkommen privilegiert sein.
Während zum Beispiel in Deutschland immer weniger Menschen an Aids sterben, wird die Zahl der Toten in Afrika auf circa 2 Millionen geschätzt.
Es ist gefährlich, sich in Sicherheit zu wähnen und zu denken, dass Aids inzwischen ein Problem ist, das mit der Zeit in den Griff zu bekommen sei.
Denken wir an folgende Zahlen: Die Zahl der Betroffenen hat sich von Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von etwa 10 Millionen auf die vierfache Zahl, nämlich auf geschätzte 40 Millionen erhöht.
Etwa 70% der Fälle von Infizierung treten in Afrika südlich der Sahara auf.
Das bedeutet auf die Bevölkerungsdichte umgerechnet: Jeder dritte Erwachsene in Botswana, Lesotho, Swaziland und Simbabwe ist mit dem HIV-Virus infiziert. In Südafrika, Sambia, Namibia ist es etwa jeder fünfte.
Es wird geschätzt, dass inzwischen etwa 22 Millionen Menschen an der Krankheit gestorben sind. 13 Millionen Kinder haben ihre Eltern verloren. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine menschliche Katastrophe von unvorstellbaren Ausmaßen.
Inzwischen wachsen nicht nur ganze Generationen ohne elterlichen Beistand auf, in den betroffenen afrikanischen Ländern fallen auch etwa ein Viertel aller arbeitsfähigen Erwachsenen für die Entwicklung ihrer Länder aus.
Während es in manchen Ländern leichte Anzeichen der Hoffnung gibt – etwa in Uganda, Sambia und Senegal –, sind in anderen Ländern wieder höhere Infektionsraten zu verzeichnen – zum Beispiel im Kamerun und in Nigeria.
Und auch für Asien ist Aids eine riesige Gefahr. Dort gibt es derzeit 7,2 Millionen Infizierte, davon allein 6 Millionen in Südasien. Gleiches gilt für Lateinamerika und die Karibik mit etwa 2 Millionen
infizierten Menschen. Auch in Osteuropa – insbesondere in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion – steigen die Zahlen der Infizierten in nahezu unvorstellbarem Ausmaß.
Diese alarmierende Entwicklung wird als Anzeichen einer möglichen gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Katastrophe gewertet. Das war auch der Grund dafür, dass die Themen Afrika und die Bekämpfung von HIV und AIDS beim G8-Gipfel in Heiligendamm eine wichtige Rolle gespielt
haben.
Denn es geht unter anderem darum, weltweit zu begreifen, dass Globalisierung unbedingt auch Humanität ohne Grenzen bedeuten muss.
Kirchentagspräsident Dr. Reinhard Höppner hat vor wenigen Tagen beim Evangelischen Kirchentag bei uns in Köln dazu aufgerufen, das allgemeine westliche Profitdenken zu ändern und aus unserem unreflektierten Individualismus wieder eine Gesellschaft zu entwickeln, die sich ihrer Mitverantwortung bewusst ist.
Für mich hat er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist in der Tat eine unserer großen Zukunftsaufgaben.
Hoffnung geben uns die vielen privaten wie auch politischen Initiativen: angefangen bei der Weltgesundheitsorganisation und den Vereinten Nationen, über den "Globalen Fond zur Bekämpfung von HIV/Aids", die Aids-Hilfe,„Ärzte ohne Grenzen“ bis hin zu den Versuchen der Regierungen, tragende Gesundheitssysteme zu entwickeln.
Erlauben Sie mir beim Stichwort „Gesundheit“ einen kurzen Einschub: Anfang Mai hat die Clinton Foundation in den USA erneut reduzierte Preise für anti-retrovirale Medikamente für die ärmeren Länder gefordert.
Dies in dem Land, in dem auch die weltweit vertretene Pharmafirma Pfizer beheimatet ist, die auf ihrer Website verkündet – ich zitiere: "Pfizer verpflichtet sich dem Wunsch der Menschheit nach einem längeren, gesünderen und glücklicheren Leben". – Zitatende.
Zwei wichtige, von Nathan Geffen verfasste Kapitel in Edwin Camerons Buch widmen sich der notwendigen Auseinandersetzungen mit den Pharmakonzernen und dem Patentschutz.
Meine Damen und Herren,
im Juni hat in New York der Aids-Gipfel der Vereinten Nationen stattgefunden. Da haben alle Staaten Rechenschaft ablegen müssen, was sie zur Bekämpfung von HIV/AIDS beigetragen haben.
Die Strategiepapiere der Bundesregierung zur HIV/AIDS-Arbeit wurden gelobt. Zu ihrer Umsetzung fehlten jedoch konkrete Aktionspläne und ausreichende Finanzmittel.
Das zeigt: Es gibt noch viel zu tun – den Versprechen müssen konkrete Taten folgen.
Dr. Ulrich Heide, der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Aids-Stiftung, sieht im Kampf gegen HIV und Aids sowohl die politisch Verantwortlichen als auch die Bürgerinnen und Bürger gefordert: "Regierungen und Zivilgesellschaft“ – so sagt er – „müssen zusammenarbeiten und sich gemeinsam gegen HIV/Aids engagieren." – Zitatende.
Dazu gehören vor allem Offenheit im Umgang mit dem Thema und die Verhinderung der Diskriminierung betroffener Menschen.
Und genau dies ist das zentrale Thema von Edwin Camerons Buch.
Edwin Cameron gibt sich nicht zufrieden mit der Reduzierung des Themas Aids auf den Aspekt der Vorsorge.
So wichtig die Aktionen zur Aufklärung und Rettung Nichtinfizierter sind, es muss gleichzeitig um die Unterstützung der bereits Infizierten gehen.
Wir – so sein Appell – dürfen nicht die Kranken und die zur Therapie nötigen Kosten ausspielen gegen die Gesunden beziehungsweise Noch-Gesunden.
Cameron fordert ein "längeres, gesünderes und glücklicheres Leben" für alle, egal ob reich oder arm, weiß oder schwarz, infiziert oder nicht.
Nelson Mandela hat den Kampf gegen Aids als die nächste große Herausforderung Südafrikas nach dem Ende der Apartheid bezeichnet. Edwin Cameron berichtet von seiner eigenen Erkrankung und den Versuchen, diese im Beruf und im Privatleben zu verbergen.
Er erzählt von seinem Leben mit der HIV-Infektion in Johannesburg, dem – wie es heißt:
„Epizentrum von Aids“.
Das Besondere an Edwin Camerons Bericht ist, dass er nicht nur sein eigenes Überleben, seinen persönlichen Kampf gegen Aids ohne Pathos schildert.
Für den Menschenrechtler und politischen Intellektuellen Cameron wird sein Überleben durch„glückliche Umstände“ zur Verpflichtung. „Glückliche Umstände“ – damit meint er seine Zugehörigkeit zur gebildeten Schicht der Weißen in Südafrika und die rechtzeitige Entdeckung der anti-retroviralen Therapie.
Daher leitet er für sich die persönliche Verpflichtung ab, seine Fähigkeiten im Kampf für einen ganzen Kontinent einzusetzen – für einen Kontinent, dessen Zukunft durch das massenhafte Aids- Sterben bedroht wird.
Edwin Cameron spricht auf kluge Weise von den Zusammenhängen von Scham und Ängsten auf der einen Seite sowie von politischer Verantwortung auf der anderen.
Immer wieder nimmt Cameron über sein eigenes Schicksal hinaus den „schwarzen Kontinent“ insgesamt in den Blick.
Er erläutert, warum Infizierte dort so rücksichtslos stigmatisiert werden, warum selbst höchste Politiker die Krankheit eher für eine Strafe halten und wie die Pharma-Industrie hiervon profitiert.
Sein Bericht ist das beeindruckende Zeugnis eines Richters, der seinen persönlichen Kampf gegen Aids zu einem Kampf um das Überleben Afrikas gemacht hat.
Kann ein solcher Bericht, kann ein solches Buch dazu beitragen,
- dass die privilegierten Länder und Konzerne besser in die Pflicht genommen werden,
- dass speziell in Afrika die Epidemie eingedämmt werden kann?
Wir wünschen es uns und Edwin Cameron.
Speech on 21 June 2007 in Cologne to launch the German edition by Dr Rupert Neudeck, author and humanitarian campaigner [for more details about Dr Neudeck, scroll to the end of his speech for the CH Beck Verlag media release on his authorship].
Edwin Cameron
Sie haben uns ein Buch geschenkt nicht nur über AIDS und wie wir die Krankheit aus der Welt schaffen, auch über Ihr Land Südafrika, in dem Sie als einer der höchsten Richter amtieren und leben, und als Weißer.
Sie sind noch sehr jung und haben als Held Südafrikas noch eine Menge vor sich. Am 8. Dezember 1994 hat Sie Nelson Mandela zu einem der höchsten südafrikanischen Richter ernannt. Noch in der Apartheidszeit haben Sie erfahren, dass Sie HIV positiv sind. Doch dann haben Sie ganz lange geschwiegen. Nach mehr als 12 Jahren haben Sie ihr Schweigen gebrochen. Nicht nur für die unmittelbare Umgebung, sondern auch für die Öffentlichkeit.
Sie beschreiben die Reaktion auf den Bruch des Schweigens als positiv. Journalisten bestätigten das Anliegen, das Sie hatten:
Man braucht sich nicht zu schämen, dass man HIV-infiziert ist oder Aids hat. Wenn wir darüber sprechen, machen wir es zu etwas Normalen. Und je früher Aids zu einer normalen Krankheit wird, desto früher werden wir in der Lage sein, normal damit umzugehen.
Nun haben Sie aber eine ganze Menge Widerstand von höchster Seite gehabt. Mit einer Parlamentsrede gleich einem Trompetensignal hat der amtierende Präsident Südafrikas Mbeki im Oktober 1999, nur 6 Monate, nach dem er zum Nachfolger von Mandela gewählt worden war, darauf bestanden: AIDS geht auf soziale und verhaltensbedingte Faktoren zurück und nicht auf die Auswirkungen eines Virus.
Damit war für drei Jahre alles blockiert in Südafrika. Denn Mbeki hat niemals anerkannt, dass HIV die Ursache von Aids ist und dass man die Krankheit also mit antiretroviralen Medikamenten behandeln und sie beherrschbar sein kann.
Die Folge war eine Lähmung und ein Stopp in allen Bemühungen, Aids in den Auswirkungen zu bekämpfen.
Sie haben dagegen als gutes Beispiel die Politik in Botswana angeführt. Der Präsident des Landes Festus Mogae kündigte an, seine Regierung würde jedem AIDS-kranken Bürger eine kostenlose Behandlung anbieten. Von den etwa 100.000 haben bis Ende 2003 nur 15.000 diese Möglichkeit genutzt.
Es geht nicht nur um den Aberglauben der Gelder, der Milliarden oder des Leitsatzes, dass 50 Milliarden doppelt so viel wie 25 Milliarden sind.
Sie beschreiben diese Szene, die die Stigmatisierung so besonders deutlich macht. In ganz Afrika ist noch kein einziger gewählter Abgeordneter aufgestanden, um sich öffentlich zu seiner Aids-Erkrankung zu bekennen. Auf einem Kontinent auf dem über 25 Mio von dieser Krankheit befallen sind, trat bisher kein einziger Minister oder Präsident an die Öffentlichkeit und erklärte: „Ja, auch ich lebe mit dieser Krankheit!“
Sie beschreiben die Treatment Action Campaign, der sie nach ihrem Outing als HIV Positiver beitraten. Jetzt geht es darum, dass die neuen Medikamente auch jenen Südafrikanern zugänglich gemacht werden, die sie so dringend brauchen.
Und sie haben uns über die Pest des 21. Jahrhunderts ein Buch geschrieben, das mir ganz besonders wertvoll erscheint, weil auch die Millenniumsgoals, die Millenniumsziele davon abhängig sein werden, wie wir mit den Kranken in Afrika umgehen.
Sie kämpfen gegen Verschwörungen. 2002 wurde beim African National Congress ein Verschwörungsdokument veröffentlicht, das wie Sie sagen – bis heute nicht zurückgenommen wurde. In dem 114 Seiten starken Papier heißt es:
Ein Syndikat westlicher Weisser verfolge eine massive politisch-kommerzielle Kampagne zur Verkaufsförderung antiretroviraler Medikamente. Dieser Apparat der Weissen wolle die Afrikaner nicht nur demütigen und ausbeuten, sondern sogar töten.
Sie haben auch den Kampf gegen die Vorurteile aufgenommen, die auf dem Hintergrund des ANC Papiers hochkommen:
Die Afrikaner werden in der konventionellen Aids Auffassung zu Sex-Besessenen (Thurn und Taxis: „Sie schnackeln zu viel!!“).
Die Afrikaner verhalten sich, so sagen sie es in ihrem Buch, nicht wesentlich anders als Europäer, Nordamerikaner, Inder oder Thailänder. Das Sexualverhalten der Afrikaner wird also keine Erklärung für die Massenepidemie sein.
Wie wir wissen hatte einer der Päpste der Aids Forschung, Prof Lux Montagnier vom Institut Pasteur, der das Aids auslösenden Virus isoliert hatte, erklärt, dass es vielleicht besondere genetische Merkmale seien, die die Afrikaner anfälliger für Aids machen denn andere.
Das ganze ist auch zu sehen im Kampf um die Millenniumsziele. Die großen Pharmakonzerne müssen ihre exorbitanten Profitraten zurückfahren. Es ist immer gut, sich an einem konkreten Fall die Tragödie von Aids klarzumachen als an unzuverlässigen Statistiken.
Cameron ist immer gegen „conspiracy thinking“ gewesen, Ob es von der Studie des ANC von 2002 ist oder von dem Südafrikanischen Schriftsteller Rian Malan.
Die Verschwörung wischen Sie beiseite: It is on par with the hardy belief that a cabal of Jews secretly manipulates the international Gold price for advancement in terms of money and power.
Sie glauben nicht an die Vorwürfe in bezug auf die AIDS Lobby. Darüber würde ich gern diskutieren, denn es geht mir natürlich viel zu viel Geld in die UNAIDS und UN-Bürokratie.
Aber das Spannendste ist zu lesen, wie sie Ihr Stigma verlieren. Nelson Mandela habe sie mit Wirkung vom 8. Dezember 1994 zum Richter an einem südafrikanischen High Court ernannt. Sie entschließen sich nach Beratung mit ihrem Kollegen Richter Chaskalson, in die öffentliche Offensive zu gehen. „Da ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Viele haben Aids, und mit Sicherheit ist es an der Zeit, dass jemand, der eine öffentliche Position bekleidet, sich dazu bekennt. Warum tun Sie es nicht einfach bei ihrer Befragung in 2 Wochen?“
Das ist nicht so einfach. Sie müssen mit ihrer Mutter sprechen und sie gewinnen. Und sie fing an, als Zeichen der Solidarität die rote Aids Schleife zu tragen.
Dann kam es zu der Erklärung vor der Kommission. Nicht einfach, denn so etwas wie die BILD Zeitung hat auch Südafrika. Diese drei Privilegien erwähnten Sie: ein sicherer Arbeitsplatz in einem nicht diskriminierenden Umfeld;
Unterstützung durch meine engste Umgebung, genügend Geld, um Medikamente zu kaufen – das alles hatte Gugu Dlamini nicht gehabt, die nach ihrer Offenlegung ermordet wurde.
Dieser Fall der 36jährigen Südafrikanerin Gugu Dlamini hatte Sie sehr aufgebracht. Sie hatte sich kurz vor ihrer Ermordung im Zulku Radio zu ihrer HIV Infektion bekannt. Drei Wochen später fielen die Leute über sie her – aus ihrem eigenen Township.
Die Angreifer sagten, sie hätte mit ihrem Bekenntnis SCHANDE über die TOWNSHIP gebracht.
„Millionen von Südafrikanern, die mit HIV oder Aids leben, sind diese Möglichkeiten versagt. Sie haben keinen Arbeitsplatz oder laufen Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Es fehlt ihnen nicht nur an der Unterstützung ihrer Gemeinschaft. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Behandlung und Betreuung. Erst wenn die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass Menschen frei von Angst reden können, können wir anfangen, das Schweigen zu brechen, das Südafrikaner mit Aids und HIV umgibt.“
Sie haben gesagt: „Ich kann nicht deshalb leben, weil ich nicht an Aids sterbe, sondern ich lebe mit Aids“ Englisch “Because I am not dying of Aids, I am living with Aids!”
Was hier fehlt in dem Buch, ist ein wenig ihr Kampf mit der Kirche. Love carefully – love faithfully, so hießen die beiden Slogans in Uganda, wo Taso die erste ganz große offene Widerstandskampagne machte.
Gemeinsam würde ich uns gern die Frage stellen:
What shall we abolish next?
Seit über 20 Jahren leistet CAP ANAMUR humanitäre Hilfe in der ganzen Welt. Rupert Neudeck erzählt in diesem Buch die abenteuerliche Geschichte der Hilfsorganisation, die mit seinem Leben eng verknüpft ist. Er berichtet von den Anfängen mit Heinrich Böll und Franz Alt, von den Chancen, Gefahren und Belohnungen humanitärer Arbeit, von den Höhen und Tiefen im Kampf mit staatlichen Bürokratien, von den Wagnissen eines außergewöhnlichen Lebens.
Vor allem aber erinnert er uns mit eindringlichen Worten daran, wie unvorstellbar groß das Elend und die Not der Menschen sind, denen sein Lebenswerk gewidmet ist. Sie haben in ihrer verzweifelten Lage einen Anspruch auf unsere Unterstützung. Die Botschaft seines bewegenden Buches ist einfach: Hilfe ist möglich - überall und jederzeit.
Leseprobe: Epilog: Noch einmal Afghanistan oder: die Arbeit geht weiter
Der Autor:
Rupert Neudeck, Dr. phil., gründete im Februar 1979 das "Komitee Cap Anamur Deutsche Not-Ärzte e. V.", das seit 23 Jahren als humanitäre "Feuerwehr" in Krisengebieten auf der ganzen Welt im Einsatz ist. Jetzt organisiert Cap Anamur eine Hilfsaktion in Afghanistan.
Stimmen zum Buch:
"Der Menschenfischer Rupert Neudeck schreibt über Menschenretter. Das ist ein gefährliches Buch. Wer es liest, ist danach nicht mehr derselbe."
Franz Alt
"Von Anfang an war ich fasziniert von seiner Ausstrahlung und von seiner Haltung. Ob als Journalist oder später als Organisator von Hilfsaktionen in aller Welt - immer stand für ihn der Mensch im Mittelpunkt..."
"Ich bewundere die Leistung von Rupert und Christel Neudeck und zolle ihnen meinen höchsten Respekt!"
Alfred Biolek
Sabine Christiansen